Ein Neustart in der Wissenschaft – eine Fundamentalkritik der Epidemiologie

Vorbemerkung:

Auch für meinen Blog ist dies eine Art Neustart. Seit etlichen Wochen wurde hier nichts mehr publiziert, während im Hintergrund allerdings viel recherchiert, geschrieben und redigiert wurde. Die Ergebnisse werden Sie in den nächsten Wochen nach und nach in diesem Blog nachlesen können. Der vorliegende Beitrag ist der erste von insgesamt acht Teilen eines besonders wichtigen Texts. Er handelt von den wissenschaftlichen Grundlagen meiner Herangehensweise und darf als Fundamentalkritik an den heute angewandten epidemiologischen Methoden verstanden werden.

Damit Sie schon jetzt absehen können, was Sie in den nächsten Wochen in diesem Blog erwartet, zusammen mit dem ersten Kapitel auch das Inhaltsverzeichnis des Gesamttexts.

Kapiteleinteilung:

1. Die Welt – eine Scheibe? Ein Würfel? Oder was sonst? Wissenschaftliche Weltbilder 

2. Einstürzende Weltbilder im Zeitraffer. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse einst und jetzt 

3. Lassen Sie mich durch, ich bin Epidemiologe! Oder: Was kann die Epidemiologie? Und was kann sie nicht? 

3.1 Das kriegen wir schon gebacken! Prävention in der Praxis. Das Beispiel Bäckerasthma 

4. Herr Ober, bitte einen Taschenrechner für den Epidemiologen-Stammtisch! Das Beispiel der Kellner, noch einmal 

4.1 Der eingesprungene Aushilfskellner. Der Healthy-Worker-Effect bei Kellnern 

5. Statistik als surreales Kunstwerk. Die wunderbare Welt der „3301“-Studie

6. Denialisten wie Sie und ich … und wie Dr. Kuhn  

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Ein Neustart in der Wissenschaft

1. Die Welt – eine Scheibe? Ein Würfel? Oder was sonst?

Wissenschaftliche Weltbilder 

Die alleinige Ursache und Wurzel beinah aller Uebel in den Wissenschaften ist, dass man die Kräfte des menschlichen Geistes fälschlich bewundert und erhebt und seine wahren Hülfsmittel nicht aufsucht. (Francis Bacon, Neues Organon)

Wenn ein Mediziner und ein Biologe aufeinandertreffen, prallen oft auch zwei nicht kompatible wissenschaftliche Weltbilder aufeinander, und sie finden nur schwer eine gemeinsame Sprache. In der Biologie hat sich längst die Theorie komplexer Systeme durchgesetzt, wie sie in der Physik und Chemie schon seit langem als wissenschaftlicher Standard vorausgesetzt wird und die Grundlage der Forschung in jenen Fachgebieten ist. Die Medizin tut sich im Umgang mit diesem Denken aber immer noch sehr schwer. 

Auch die Epidemiologie hält nach wie vor geradezu verbissen an ihren vertrauten Methoden fest. Aber während in der Medizin der Kontakt zu Patienten und die Beobachtung der tatsächlichen Wirkung von therapeutischen Maßnahmen den Realitätsbezug nie völlig verloren gehen lassen, ist die Epidemiologie als eine Wissenschaft, in der man es vor allem mit Datenbanken, mathematischen Formeln und bedrucktem Papier zu tun hat, sehr viel gefährdeter, Ergebnisse zu produzieren, mit denen keine wissenschaftlichen Aussagen zu den wirklichen Verhältnissen getroffen werden können. Kombiniert mit den heute üblichen PR-Strategien, die jede wissenschaftliche Institution anzuwenden gelernt hat, um medienwirksam Forschungserfolge zu vermarkten mit dem Ziel, dadurch finanzielle Mittel für weitere Forschungen zu erschließen, werden Fehlinterpretationen als vermeintliche wissenschaftliche Wahrheit verkauft und vom Laienpublikum sowie gar nicht so wenigen Fachleuten geglaubt, obwohl sie die wirklichen Verhältnisse nicht darzustellen vermögen. 

Die „Wissenschaft vom Passivrauchen“ ist ein Lehrbuchbeispiel für eine durch unzulängliche Methoden verursachte Fehlinterpretation. Es ist durchaus möglich, dass dies als Beispiel, wie man es nicht machen sollte, in den Lehrbüchern der nächsten oder übernächsten Epidemiologengeneration tatsächlich vorkommen wird. Die verbissene Verteidigung jener Fehlinterpretation und die damit verbundenen Entgleisungen gegenüber allen kritischen Stimmen wiederum sind politisch-ideologisch motiviert. Beide Ebenen sind sorgfältig voneinander zu trennen: Unzulängliche Methoden anzuwenden, weil sie im Moment in der Epidemiologie nicht hinterfragt werden, ist nichts weiter als ein korrigierbarer wissenschaftlicher Irrtum. Diskussionen über ein solchermaßen zustande gekommenes epidemiologisches Ergebnis, dessen Richtigkeit in Frage gestellt wurde, mit allen Mitteln zu verhindern, offenbart das Ziel, bei anderen keine Zweifel aufkommen zu lassen. Mit Wissenschaft im eigentlichen Sinne hat das nichts zu tun.

Weder ist das „Passivrauchen“ das einzige Beispiel für die Anwendung unzulänglicher Methoden, noch ist Dr. Joseph Kuhn der einzige Verteidiger jener Methoden im Beispielfall. Da ich aber mit ihm in direktem Austausch stand und seine Argumentation ein Musterbeispiel für das von mir angegriffene Wissenschaftsbild ist, sei es mir gestattet, Dr. Kuhns Ausführungen über meine Kritik an den wissenschaftlichen Ergebnissen zum Passivrauchen meiner „Fundamentalkritik“ an der Epidemiologie zugrunde zu legen. 

Wer zur Sache kritisiert, auf dessen Einwände kann man eingehen, und in meinem offenen Brief an Dr. Kuhn habe ich dies auch bereits ausführlich getan. Aber es scheint mir unverzichtbar, auch noch auf einer allgemeineren Ebene zu erklären, dass und warum es in die Irre führt, wenn meine Forschungsergebnisse mit genau denselben Instrumenten gemessen (und für fehlerhaft erklärt) werden, denen ich ja gerade als Hauptkritikpunkt Unzulänglichkeit bei der Risikoermittlung vorgeworfen hatte und damit fehlende Eignung für das, was Epidemiologen mit ihnen zu beweisen versuchen.

Dazu muss ich allerdings etwas weiter ausholen. Ich bitte deshalb um Verständnis dafür, dass ich dies auf mehrere Blog-Beiträge aufteilen werde; diesem Beitrag werden also noch mehrere weitere folgen. Ich werde dabei auch auf Dr. Kuhns Einwände zu sprechen kommen, wenn es in den Zusammenhang passt, und nachweisen, dass und warum sie im jeweiligen Fall irreführend sind. 

Verkürzt gesagt, stehen sich in dieser Sache zwei wissenschaftliche Weltbilder gegenüber: 

Die deterministisch-mechanistische wissenschaftliche Herangehensweise kann sehr gut Monokausalbeziehungen (Ursache X = Wirkung y) erfassen und analysieren. Zuweilen sind es auch mehrere Monokausalbeziehungen, die untersucht werden, in diesem Fall ist von einer multifaktoriellen Herangehensweise die Rede. Die systemorientierte wissenschaftliche Herangehensweise geht genau umgekehrt vor: Ihr Ansatzpunkt ist nicht die Wirkung eines oder mehrerer Einwirkungsfaktoren, sondern das komplexe System selbst, dessen Reaktion durch unzählige Einwirkungsvariablen beeinflusst wird, die nicht nur direkt auf das System wirken, sondern sich auch wechselseitig beeinflussen. Eine Monokausalbeziehung ist in dieser Betrachtung außerhalb von rein theoretischen Berechnungen gar nicht denkbar.

Auch Professor Günter Ropohl hat sich in seinem Artikel „Passivrauchen als statistisches Konstrukt“ als Verfechter dieser Herangehensweise gezeigt. Dr. Kuhn hat sich wie zu mir auch zu Ropohl öffentlich kritisch geäußert, ohne aber seinen fundamentalen Irrtum zu bemerken, der darin besteht, dass er eine multifaktorielle mit einer systemorientierten Herangehensweise gleichsetzt. Ich gehe aus mehreren Gründen nicht davon aus, dass Kuhn sich dieses Irrtums bewusst ist. Einer dieser Gründe besteht darin, dass die deterministische Welterklärungsweise in der Epidemiologie derzeit ja als „State of the Art“ gilt und kaum hinterfragt wird. Ironischerweise taugt aber gerade das von Kuhn so vehement verteidigte Beispiel Passivrauchen dazu, sie nachhaltig zu erschüttern.

– Fortsetzung in Kapitel 2 – 

Prof. Dr. med. Romano Grieshaber

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5 Antworten zu Ein Neustart in der Wissenschaft – eine Fundamentalkritik der Epidemiologie

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  4. Blaudunst schreibt:

    Vielen Dank, Herr Prof. Grieshaber, dass Sie diese sehr interessante und vor allem bitter notwendige Diskussion eröffnet haben! Denn die bewusst losgetretene Passivrauch-Hysterie ist vor allem ein Symptom der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung.

    Aber was kann, was muss und was darf ein Staat seinen Bürgern überhaupt garantieren, anbieten und zumuten? Kann er uns eine hundertprozentig gesunde Umwelt und Schutz gegen „alles“ garantieren? Sicher nicht.
    Er kann versuchen, einige Risiken zu minimieren. Aber welche? Welche von den tausenden Risiken dieser Welt? Wieviel Energie und Geld muss, soll und kann er in die Bekämpfung der Risiken stecken? Wieviel von der Freiheit, der Menschenwürde, der Existenzgrundlage oder der Lebensqualität seiner Bürger darf er für die Risikominimierung opfern?

    Bei der erforderlichen Abwägung leisten natürlich Lobbyisten ganze Arbeit. Und bewirken sicher nicht selten, dass die begrenzten Ressourcen an falscher Stelle (außer für die betreffenden Lobbys, versteht sich) eingesetzt werden, mit großem Aufwand aber wenig Nutzen für die Bürger.
    Wenn als Alibi-Politik die falschen Risiken bekämpft werden, bleibt nichts mehr übrig für die wirklichen Gefahren. Wie wenn statt eines Gewaltverbrechers ein Unschuldiger verurteilt wird: Die Ermittlungen sind beendet, der Schuldige läuft weiterhin frei herum und niemand kann ihn hindern, weitere Verbrechen zu begehen.
    Sie, Herr Professor, bringen diese Thematik in Ihrem Buch sehr treffend auf den Punkt:
    „Sie [die arbeitende Bevölkerung] sind die Opfer dieser Symbolpolitik. Sie werden mit Pseudoerklärungen und unzutreffenden Schuldzuweisungen abgespeist, während die wirklichen Gründe für ihre Krankheiten unerkannt bleiben“.

    Diese „Passivrauch-Geschichte“ ist in der Tat ein Paradebeispiel für alles, was man so falsch machen kann. Eine Pseudo-Passivrauch-Wissenschaft übertreibt maßlos, die WHO und ihre Verbündeten nötigen damit 192 Staaten, den FCTC-Vertrag zu unterschreiben. Die Politiker weltweit fühlen sich durch immer neuere „wissenschaftliche Beweise“, die kritiklos und massiv in den Medien verbreitet werden, gezwungen, immer absurdere Gesetze zu beschließen.
    Alle Werte, die wir jahrzehntelang stolz hochgehalten haben (Freiheit der Bürger, Selbstbestimmung des eigenen Lebens, Menschenwürde, unternehmerische Freiheit, Verhältnismäßigkeit der Gesetze), scheinen heute nicht mehr gültig zu sein, sobald das Wörtchen „Rauchen“ fällt.

    Umso wichtiger erscheint mir das Ziel, eine unabhängige und seriöse Wissenschaft und eine wirklich unabhängige Presse und Justiz wiederherzustellen.
    Ihr Blog leistet dazu einen erheblichen Beitrag. Denn er rüttelt an der „Schweigespirale“, die die derzeitigen Fehlentwicklungen erst möglich gemacht haben.

  5. Pingback: "Die neue Gartenlaubengeneration suhlt sich in dumpfer Selbstgenügsamkeit" | Ruhrbarone

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